Sexueller Missbrauch von Kindern

Was ist unter sexuellem Missbrauch von Kindern im straf­recht­li­chen Sinne zu verstehen?

Sexueller Missbrauch von Kindern ist gemäß § 176 Straf­ge­setz­buch (StGB) eine Straftat gegen die sexuelle Selbst­be­stim­mung.

Das bedeutet, dass sich ein Erwachsener oder Jugendlicher (14 Jahre und älter) strafbar macht, wenn er sexuelle Handlungen an einem Kind (Person unter 14 Jahren) vornimmt oder an sich vornehmen lässt. Diese Handlungen können mit und ohne Körperkontakt stattfinden. Somit fallen insbesondere Berührungen im Intimbereich und alle Formen von Ver­ge­wal­ti­gun­gen darunter. Jedoch auch das Zeigen oder gemeinsame Betrachten por­no­gra­fi­scher Bilder oder das Entblößen von Genitalien und das Manipulieren an Ge­schlechts­tei­len sind nach dem Straf­ge­setz­buch Miss­brauchs­hand­lun­gen, wenn ein Erwachsener oder Jugendlicher mit oder vor einem Kind agiert.

Solche Handlungen an oder vor Kindern sind immer strafbar, auch wenn sich das Kind scheinbar einverstanden gezeigt hat. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass ein Kind aufgrund seiner emotionalen und in­tel­lek­tu­el­len Entwicklung einer sexuellen Handlung nicht wissentlich zustimmen kann. Deshalb tragen Kinder grundsätzlich nie Schuld an einem Missbrauch. Das ungleiche Macht­ver­hält­nis zwischen Tätern und kindlichen Opfern begünstigt zusätzlich den sexuellen Missbrauch. Miss­brau­chen­de nutzen dabei meist ihre geistige und körperliche Überlegenheit und das Vertrauen des Kindes aus.

Ein sexueller Missbrauch von Jugendlichen wird dann straf­recht­lich verfolgt, wenn die sexuellen Handlungen von Personen ausgehen, von denen sie abhängig sind, wie etwa in den Bereichen Schule, Erziehung, Familie, Sport, Ausbildung, Arbeitsplatz (§174 StGB).

 

Wer sind die Täter?

Miss­brauch­stä­ter sind überwiegend, aber nicht aus­schlie­ß­lich, männlich. Laut Polizeilicher Kri­mi­nal­sta­tis­tik kennen sich Täter und Opfer in etwa zwei Drittel der Fälle oder haben sogar eine enge soziale Beziehung zueinander.

Die meisten Täter stammen aus dem Umfeld der Mädchen und Jungen. Es sind bei­spiels­wei­se Freunde der Familie, Nachbarn, Lehrer, Erzieher, Pfarrer oder Sporttrainer. Einige Täter wählen gezielt pädagogische oder the­ra­peu­ti­sche Berufe oder ehrenamtliche Tätigkeiten, bei denen es möglich ist, sich Kindern leicht und dauerhaft zu nähern. Nicht selten profitieren sie dabei vom guten Ruf der Institution und gelten als besonders geschickt im Umgang mit Kindern. Fehlen in Einrichtungen, die Kinder betreuen, bei­spiels­wei­se Regeln zur pro­fes­sio­nel­len Nähe und Distanz, Be­schwer­de­mög­lich­kei­ten für die Meldung von Übergriffen und Fortbildungen zum Kinderschutz, wird es möglichen Tätern leicht gemacht.

Etwa 30 Prozent der Miss­brau­chen­den kommen aus dem engsten Familienkreis bzw. dem Haushalt des Kindes.

Nur wenige Täter (ca. 20 Prozent) sind den Betroffenen völlig unbekannt. Diese Tätergruppe begeht größtenteils ex­hi­bi­tio­nis­ti­sche Handlungen. Eine ex­hi­bi­tio­nis­ti­sche Handlung liegt vor, wenn der Täter dem Kind sein entblößtes Ge­schlechts­teil zeigt, um sich sexuell zu erregen oder zu befriedigen.

 

Wie gehen Täter vor?

Der eigentliche Missbrauch wird von den Tätern sorgfältig und zielgerichtet vorbereitet:

  • Sie studieren genau die Vorlieben, Wünsche aber auch Defizite des Kindes.
  • Sie spielen Zuneigung vor und erobern sich Auf­merk­sam­keit, indem sie Geschenke verteilen.
  • Täter bauen zunächst eine nichtsexuelle Beziehung auf und versuchen, das Vertrauen des Kindes zu gewinnen.
  • Allmählich verwickeln sie dann das Mädchen oder den Jungen in sexuelle Aktivitäten, die häufig auch in All­tags­si­tua­tio­nen (wie z. B.  Körperpflege oder Bitten um Hilfe) eingebunden und daher vor allem für jüngere Kinder schwer erkennbar sind.

Um den Missbrauch beliebig fortsetzen zu können und den Widerstand des Kindes auszuschalten, wird das betreffende Kind in Schuldgefühle verstrickt (z. B. du fandest es doch auch schön; du hast doch mitgemacht; du hast doch nie etwas gesagt). Mit offenen oder versteckten Drohungen und unter Ausnutzung der häufig massiven Scham- und Schuldgefühle der Opfer bewirken Täter die Geheimhaltung der Taten.

Auch die geschickte Manipulation der Personen aus dem Umfeld der Kinder gehört zur gezielten Tä­ter­stra­te­gie:

  • Sie isolieren das Mädchen oder den Jungen geschickt, indem die „Auserwählten“ vor anderen bevorzugt oder gezielt ausgegrenzt werden.
  • Die Täter schaffen Gelegenheiten, um mit den Kindern allein sein zu können.
  • Außerdem täuschen und belügen sie die Be­zugs­per­so­nen der Kinder.
  • Häufig machen sich Täter im beruflichen oder eh­ren­amt­li­chen Kontext unentbehrlich oder provozieren Ab­hän­gig­kei­ten von Kollegen oder Vorgesetzten, so dass ein Verdacht nicht in Frage kommt oder nicht ausgesprochen wird.

 

Wer sind die Opfer?

Von sexuellem Missbrauch betroffen sind überwiegend Mädchen. Doch auch Jungen werden sexuell missbraucht. Un­ter­su­chun­gen zeigen, dass etwa jedes vierte bis fünfte Mädchen und jeder neunte bis zwölfte Junge bis zum 18. Lebensjahr sexuelle Ge­walt­er­fah­run­gen macht. Die meisten min­der­jäh­ri­gen Opfer sind zwischen sechs und dreizehn Jahren alt. Aber auch Säuglinge und Kleinkinder werden missbraucht. Grundsätzlich können Kinder aus allen sozialen Schichten betroffen sein.

Po­li­zei­ex­per­ten und auch Wis­sen­schaft­ler sind sich einig, dass nur ein Bruchteil der straf­recht­lich relevanten Miss­brauchs­fäl­le angezeigt wird. Dies steht mit dem Vorgehen der Täterinnen bzw. Täter und den Gefühlen und Ängsten der missbrauchten Kinder, aber auch mit dem Umfeld in engem Zusammenhang:

  • Die Kinder haben meist extreme Schuldgefühle entwickelt, schämen sich und denken oft, dass sie selbst ver­ant­wort­lich sind.
  • Nicht selten fühlen sie Angst vor der Bestrafung oder dem angedrohten Auf­merk­sam­keits­ent­zug durch die Täterin oder den Täter.
  • Manchmal haben die Opfer auch zwiespältige Gefühle gegenüber den Täterinnen oder den Tätern. Bei­spiels­wei­se mag und braucht die Tochter ihren Vater, verabscheut aber die sexuellen Handlungen.
  • Nicht selten schweigen Betroffene außerdem, weil sie die Familie erhalten wollen oder geliebte Personen vor Kummer bewahren möchten.
  • Sehr häufig wird den Kindern von Au­ßen­ste­hen­den einfach nicht geglaubt oder ihre „Hilferufe“ nicht erkannt.

Wenn Sie als Bezugsperson oder das Kind selbst bedroht oder unter Druck gesetzt werden, melden Sie dies unbedingt der Polizei. Nur so kann die Polizei schnell geeignete Maßnahmen zu Ihrem Schutz einleiten.

 

Woran ist sexueller Missbrauch erkennbar?

Relativ sichere körperliche Anzeichen für sexuellen Missbrauch sind bei­spiels­wei­se: Un­ter­leibs­ver­let­zun­gen, Blutergüsse und Bisswunden im Ge­ni­tal­be­reich sowie Ge­schlechts­krank­hei­ten.

Spezifische Anzeichen im Verhalten von Kindern, die eindeutig auf einen sexuellen Missbrauch hindeuten, gibt es jedoch nicht. Das Verhalten von missbrauchten Kindern ist alters- und per­sön­lich­keits­be­dingt sehr verschieden und entspricht keinem vor­her­seh­ba­ren Muster. Manchen Kindern merkt man nichts an, andere verändern sich und zeigen Auf­fäl­lig­kei­ten, wie z. B. starke Stim­mungs­schwan­kun­gen, Schlaf­stö­run­gen, Bauch­schmer­zen, Einnässen oder Ängste. Bisher sehr auf­ge­schlos­se­ne Kinder ziehen sich vielleicht zurück, andere werden gegen sich oder andere aggressiv. Einige spielen al­ters­un­ty­pisch sexuelle Handlungen nach oder benutzen eine auffällig sexualisierte Sprache. Generell gilt: Ver­hal­tens­auf­fäl­lig­kei­ten von Kindern sind immer ein Hilferuf, dessen Ursache mit fachlicher Unterstützung abgeklärt werden sollte.

 

Was tun bei Verdacht?

  • Nehmen Sie die Schilderungen des Kindes ernst! Sagen Sie dem Kind, dass Sie ihm glauben!
  • Versuchen Sie Ruhe zu bewahren – auch wenn Ihnen dies schwerfällt! Durch extreme Ge­fühls­aus­brü­che kann das Kind erschreckt und zum Schweigen gebracht werden.
  • Lassen Sie das betroffene Kind nur so viel erzählen, wie es will! Fragen Sie es keinesfalls aus!
  • Vermeiden Sie weitere Schuld­zu­wei­sun­gen an das betroffene Kind, wie z. B.: „Warum hast du mir bisher nichts erzählt?“
  • Bringen Sie deutlich zum Ausdruck, dass die Verantwortung für die Übergriffe bei der Täterin oder beim Täter und nicht bei dem betroffenen Mädchen oder Jungen liegt!
  • Überlegen Sie in Ruhe, wie Sie das Mädchen oder den Jungen vor der verdächtigen Person und vor weiteren Miss­brauchs­hand­lun­gen schützen können! Holen Sie sich dafür Rat und Hilfe bei spe­zia­li­sier­ten Be­ra­tungs­ein­rich­tun­gen!
  • Erklären Sie dem Kind, was Sie tun werden! Versprechen Sie jedoch Nichts, was Sie nicht halten können!
  • Bei akuter Bedrohung, wählen Sie 110! Die Polizei wird alles Erforderliche tun, um Sie und das Kind zu schützen.
  • Zeigen Sie die Straftat bei der Polizei an. Eine Strafanzeige können Sie bei jeder Po­li­zei­dienst­stel­le erstatten.
  • Die Polizei wird ein Er­mitt­lungs­ver­fah­ren gegen die Tat­ver­däch­ti­ge bzw. den Tat­ver­däch­ti­gen einleiten.
    • Grundsätzlich kann die Anzeige bei jeder Po­li­zei­dienst­stel­le erfolgen. Die Anzeige wird in der Regel an die kri­mi­nal­po­li­zei­li­che Fach­dienst­stel­le wei­ter­ge­lei­tet. Sie können sich aber auch direkt an eine derartige Stelle wenden, da man dort die spezifischen Belange min­der­jäh­ri­ger Opfer kennt und die Anhörung des Opfers kindgerecht erfolgen kann.
    • Auf jeden Fall sollte eine mehrfache Befragung des Kindes vermieden werden, damit es nicht zu stark psychisch belastet wird. Deshalb werden bei min­der­jäh­ri­gen Opfern die Aussagen häufig auf Video aufgenommen. Erkundigen Sie sich danach!
    • Gerade bei jüngeren Kindern ist es wichtig, dass die Vernehmung möglichst bald nach der Tat stattfindet. Dann können sich die Betroffenen besser erinnern und die Täterin bzw. der Täter hat weniger Zeit, das Opfer zu beeinflussen.
    • Manchmal ist es vorteilhaft, wenn eine andere Ver­trau­ens­per­son als die Eltern bei der Befragung des Opfers anwesend ist. So kann vermieden werden, dass Kinder aus Scham wichtige Details verschweigen.
    • Versucht die Täterin oder der Täter die Aussage des Kindes z. B. durch Drohung zu beeinflussen, teilen Sie das bitte unverzüglich der ermittelnden Po­li­zei­dienst­stel­le mit.
    • Stellen Sie die Tat­ver­däch­ti­ge bzw. den Tat­ver­däch­ti­gen generell nicht selbst zur Rede. Überlassen Sie dies der Polizei!
    • Auch wenn ein sexueller Missbrauch schon länger zurückliegt, können Betroffene ihn immer noch bei der Polizei anzeigen! Solche Straftaten verjähren erst nach vielen Jahren.

 

Rechte und Ansprüche

Kinder sind besonders schutz­be­dürf­tig, daher sind im Straf­ver­fah­ren für sie eine Reihe von Schutz­vor­schrif­ten vorgesehen, z. B.:

  • In einer Haupt­ver­hand­lung werden Minderjährige aus­schlie­ß­lich von der Richterin oder vom Richter befragt.
  • Der Ausschluss der Öf­fent­lich­keit oder der Angeklagten bzw. des Angeklagten kann vom Gericht verfügt werden.
  • Selbst­ver­ständ­lich können die Er­zie­hungs­be­rech­tig­ten ihr Kind begleiten, sofern nicht ein Elternteil selbst verdächtigt wird.
  • In Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs können Sie beantragen, vom Gericht einen eigenen "Opferanwalt" bestellt zu bekommen. Der Opferanwalt oder die Opferanwältin vertritt dann die Interessen des Kindes im Straf­ver­fah­ren und vor Gericht. Folgt das Gericht dem Antrag, ist die op­fer­an­walt­li­che Tätigkeit kostenfrei.
  • Wenn die Täterin oder der Täter das 18. Lebensjahr vollendet hat, kann das betroffene Kind als sogenannter Nebenkläger im Straf­ver­fah­ren auftreten. Das erweitert seine Rechte.
  • Auf Antrag haben minderjährige Opfer sexueller Gewalt in der Regel außerdem Anspruch auf eine kostenfreie psychosoziale Pro­zess­be­glei­tung. Speziell ausgebildete Fachkräfte unterstützen dabei das Opfer im gesamten Straf­ver­fah­ren. Hierzu gehört bei­spiels­wei­se die Begleitung zu allen Vernehmungen, die Vorbereitung auf die Ge­richts­ver­hand­lung und ge­ge­be­nen­falls auch eine Nachbereitung des Prozesses.
  • Wenn die Opfer durch eine Gewalttat einen ge­sund­heit­li­chen Schaden erlitten haben, können sie nach dem neuen Sozialen Ent­schä­di­gungs­recht (SER) Versorgung erhalten (z.B. Heil - und Kran­ken­be­hand­lung, Hilfen zur beruflichen Re­ha­bi­li­ta­ti­on, Be­schä­dig­ten­ren­te). Die Versorgung wird nur auf Antrag gewährt. Der Antrag ist an das für den Wohnort der/des Geschädigten zuständigen Ver­sor­gungs­amt zu stellen. Lesen Sie mehr unter Recht auf Entschädigung. Diese Form der Entschädigung ist nicht mit Schadenersatz oder Schmer­zens­geld zu verwechseln.
  • Weitere Informationen zum Thema „Kinder im Straf­ver­fah­ren“ erhalten Sie unter anderem auf der Internetseite des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums der Justiz und für Ver­brau­cher­schutz unter www.bmjv.de und in der Broschüre „Ich habe Rechte“ (www.​bmjv.​de).
  • Op­fer­hil­fe­ein­rich­tun­gen stehen Ihnen während des gesamten (Straf-) Verfahrens und darüber hinaus zur Seite und unterstützen Sie in allen Bereichen.

 

Hilfe und Unterstützung

  • Holen Sie sich in jedem Fall psy­cho­lo­gi­sche und juristische Hilfe – für Ihr Kind und für sich selbst! Nehmen Sie Kontakt zu spe­zia­li­sier­ten Be­ra­tungs­stel­len und Anwälten auf!
  • Die Polizei kann Ihnen geeignete Be­ra­tungs­stel­len und Op­fer­hil­fe­or­ga­ni­sa­tio­nen zur Begleitung und Unterstützung empfehlen. In einigen Bundesländern stehen Ihnen bei der Polizei An­sprech­part­ner für den Opferschutz zur Seite. Fragen Sie ge­ge­be­nen­falls in Ihrer örtlichen Po­li­zei­dienst­stel­le nach.
  • Kinder können sich bei folgenden Stellen Hilfe und Unterstützung holen: Kinder- und Jugendtelefon 0800 111 0333Nummer gegen Kummer, anonym und kostenlos erreichbar montags - samstags 14.00 Uhr bis 20.00 Uhr.
  • Te­le­fon­seel­sor­ge rund um die Uhr unter 0800 111 0111 oder unter 0800 111 0222.
  • Online- Beratung für Jugendliche unter www.​youth-​life-​line.​de.
  • Jugendamt.